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Wie wird die Krise unsere Generation verändern?

Aktualisiert: 30. Mai 2020

Junge Menschen können mit Krisen besser fertig werden. Ein Blick zurück zeigt: Diesmal könnte es schlimmer ausgehen.

Die Corona-Krise durchkreuzt Pläne, sie vernichtet Jobs, bringt Menschen zur Verzweiflung. Und nebenbei steckt der Lifestyle einer ganzen Generation auf einmal im Standby-Modus. Keine Easy-Jet-Flüge mehr nach Lissabon. Keine durchtanzten Nächte mehr in Kellerclubs. Keine ICE-Fahrten mehr quer durchs Land, um auf die WG-Party dieser einen ganz netten Kommilitonin zu fahren.  Wer in diesem Jahr Abitur schreibt, für den ist „Abicalypse Now“ längst mehrdeutiger als ein mittelwitziger Motto-Spruch. Andrew Cuomo, Gouverneur von New York, sagte vor ein paar Tagen: „Das ist ein Trauma für eine ganze Generation.“ Könnte die Corona-Krise also zum Wendepunkt werden für die heute 18- bis 35-Jährigen? Das 20. Jahrhundert war voll von Krisen, und immer waren es auch die Jüngeren, die darunter besonders zu leiden hatten. Als die Weltkriege begannen, durften auch die privilegierten Jüngeren nicht mehr in den Hörsaal und in die Welt hinaus. Sie mussten an die Front. In den Wirtschaftskrisen zog es der Jugend den noch wackeligen Boden unter den Füßen weg. Und als 1990 die DDR verschwand, da standen die jungen Ostdeutschen plötzlich mit ihren Abschlüssen da, deren Anerkennung alles andere als sicher war.  Wer in der Krise aufwächst, gibt später weniger wagemutig sein Geld aus „Depression Babies“ nannte die Wirtschaftswissenschaftlerin Ulrike Malmendier 2011 jene Menschen, die im jungen Alter Krisenerfahrungen gemacht hatten. In ihrer Studie stellte sie fest, dass diese „Depression Babies“ auch im höheren Alter noch weniger wagemutig ihr Geld ausgeben (etwa für Aktien) als Menschen, die nicht in einer Krise groß geworden sind. Der natürliche Optimismus der Jugend kann in einer Krise in langfristige Verunsicherung umschlagen. Einerseits. Andererseits kann die Jugend auch ein Schutzschild sein, um Krisen besser  zu verkraften. Nach dem Mauerfall konnten Jüngere (vor allem die jüngeren Frauen) ihr Leben unter den neuen Vorzeichen eigenständig in die Hand nehmen, während von den Älteren mancher am Wandel zerbrochen ist. Die Jüngeren sind es auch, die Veränderungen häufig selbst erst anstoßen. In der 68er-Bewegung war es die studentische Jugend, die sicher geglaubte Gewissheiten in Frage stellte. Und als im Jahr 2015 hunderttausende Geflüchtete nach Deutschland kamen, waren es auch die Jüngeren, die selbstverständlich halfen. Und nun, in der Corona-Krise? Jörn Leonhard, Historiker für Neuere Geschichte an der Universität Freiburg, ist zurückhaltend mit dem Urteil darüber, inwiefern die Krise eine „epochale Zäsur“ sein könnte für die jüngere Generation. „Das kann erst der zeitliche Abstand zeigen.“  Wer heute zwischen 18 und 35 ist, der hat bereits einige Krisen in seinem Leben erlebt. Die islamistischen Terrorangriffe auf das New Yorker World Trade Center im Jahr 2001. Die weltweite  Finanzkrise ab dem Jahr 2007. Den „Flüchtlingssommer“ im Jahr 2015. „Die Wenigsten würden aber heute sagen, dass diese Krisen eine ganz tiefe persönliche Zäsur für die junge Generation gewesen sind“, sagt Leonhard. Denn diese Krisen betrafen laut Leonhart zumeist nur einen Teilaspekt des Lebens, was man erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand feststellen kann. Der islamistische Terrorismus erschütterte das Sicherheitsgefühl. Die Flüchtlingskrise stellte die Hilfsbereitschaft der Gesellschaft auf die Probe. In der Finanz- und Bankenkrise verloren – gerade in Südeuropa – viele Jüngere ihren Arbeitsplatz. Auch am globalen Ausbruch der Spanischen Grippe war gewissermaßen die gestiegene Mobilität der Menschheit Schuld. Denn in dem vorangegangen Ersten Weltkrieg wurden Waren und Menschen quer über die Kontinente transportiert. Der Krieg und die damit verbundene Mobilität brachten auch die Krankheit überall hin. Der Unterschied zu heute: Das Coronavirus verbreitet sich im Frieden. Weil Menschen im Ausland studieren, weil sie Geschäftstermine auf globalen Messen in anderen Ländern vereinbaren, kommt das Virus von Wuhan nach Ischgl und von Ischgl nach New York. Es ist auch die Lebensart der mobilen, vernetzten Jugend, die das Virus um die Welt geschickt hat. „Diese Erkenntnis, indirekt zu einer Verbreitung beitragen zu haben, kann erschütternd sein“, sagt Historiker Leonhard. „Historisch sieht man, dass Menschen sich nach einer Krise nach der Normalität zurücksehnen“ Die aktuelle Krise wird aber wohl gerade für Jüngere wirtschaftliche und soziale Veränderungen bedeuten; es werden Narben bleiben. Und dennoch: Wenn ein Impfstoff gefunden ist, wenn die Reisefreiheit und all die anderen Freiheiten zurückgekehrt sind, dann könnte die Zäsur für diese Generation, zumindest in Deutschland, wieder einmal ausbleiben. „Historisch sieht man, dass Menschen sich nach einer Krise nach der Normalität zurücksehnen“, sagt Leonhard.  Bis es soweit ist, könnte der Jugend aber noch eine weitere Prüfung bevorstehen: „Prägend könnte für die heutige Jugend-Generation sein, wie sie mit der ethischen Frage nach dem Schutz der Lebens umgeht“, sagen die Psychologe. Die Debatte läuft schon seit Wochen: Wie weit darf die Gesellschaft die wirtschaftliche Existenz der Jüngeren gefährden, um die Gesundheit der Älteren zu schützen? Diese Frage dürfe nicht nur von der Politik und Wirtschaft diskutiert werden. Die Jugend müsse diese Diskussion mitführen. Wie viel sind ihre Freiheit und ihr Wohlstand wert, um andere zu schützen? Auch an der Haltung zu dieser Frage wird sich diese Generation einmal messen lassen müssen.

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